Die Psycho-Physiognomik betrachtet den Menschen auf eine individuelle und ganzheitliche Weise. Diese Betrachtungsweise schafft Verständnis und Toleranz, Einsicht und Akzeptanz – überall, wo Menschen sich begegnen.
Der Ausdruck unserer Körper-, Kopf- und Gesichtsformen sowie die Körpersprache und andere Äußerungen eines Menschen können als wunderbare Hilfsmittel und als Übersetzer dazu benutzen werden, die Sprache unserer Seele besser zu verstehen. Wir tragen eine grosse Verantwortung im Umgang mit der Psycho-Physiognomik.
Alle Dinge der Erscheinungswelt sind stoffgewordene Energie und sowohl Symbole als auch Instrumente des Geistigen. Die Psycho-Physiognomik ist die Lehre, diese Sprache zu enträtseln. Durch sie wird es möglich, die Formen, Linien und Zonen des Körpers zu deuten und zu lesen.
Die Wechselwirkung von Körper und Psyche kann nicht aufgehoben werden. Die Ausdrucksform ist aber nicht ein immer gegebenes und starres Gebilde, denn nichts ist absolutes Sein, alles ist ein Werden und ein Sichentwickeln.
Bei der Psycho-Physiognomik handelt sich nicht um eine Schnellbleiche, die nach kurzer Einarbeitung vollumfänglich beherrscht wird, sondern es braucht Übung und intensive Auseinandersetzung, denn wir können z.B. die Persönlichkeit eines Menschen erst dann tendenziell erkennen, wenn wir die verschiedenen Gesichtszüge und Körperausdrucksformen und deren Aussage kennen und in ihrer Deutung geübt sind.
Persönlichkeitsmerkmale einer Person an nur einem oder zwei Gesichtszügen feststellen zu wollen ist nicht nur rücksichtslos und unfair der Person gegenüber, sondern schlichtweg falsch. Zudem ist dies auch kaum möglich und würde ganz sicher zu Fehlschlüssen führen. Jeder Gesichtszug für sich zeigt uns eine Persönlichkeitseigenschaft, welche nur von Geübten zu einem großen Ganzen, zur Gesamtpersönlichkeit zusammengesetzt werden kann. Psycho-Physiognomik bedeutet eine ganzheitliche Betrachtung (vernetztes und systemisches Denken). Alle Ausdruckszonen müssen miteinander vernetzt werden. Man kann und darf nicht einzelne Ausdruckszonen für sich deuten, ohne das Ganze (die anderen Ausdruckszonen) mit einzubeziehen.
In der Menschenkenntnis ist vielfach zu hören: «Nicht verurteilen, sondern beurteilen.» Ich möchte mich diesem Spruch nicht anschließen, denn das Wort «beurteilen» besitzt die versteckte Botschaft des «Schubladisierens». Da es nicht meine Absicht ist, Menschen auf irgendeine Art und Weise kategorisch zu «schubladisieren», in Gut und Böse einzuteilen oder in irgendeiner Form zu qualifizieren, versuche ich einfach, die Persönlichkeit von Menschen «festzustellen».
Wir können Eigenschaften feststellen, doch wir haben nicht das Recht, diese Eigenschaften zu beurteilen, geschweige denn zu verurteilen.
Als weiterer, meiner Ansicht nach guter Vergleich dient uns die Landkarte. Eine Landkarte ist nicht die Landschaft selbst, und doch erweist sie uns gute Dienste. Wir nutzen sie, um uns zu orientieren und einen Weg zu finden, vor allem dann, wenn wir uns in einem Gelände bewegen, das wir noch nicht genau kennen. Die Nützlichkeit der Landkarte rührt in erster Linie daher, dass sie uns einen Überblick vermittelt und Verbindungen aufzeigt, die wir von unserem Standpunkt in der Landschaft aus nicht sehen können. Das heißt, mithilfe der Landkarte nehmen wir neben der Boden- auch die Vogelperspektive ein und können unsere nächsten Schritte planen.
Ähnlich verhält es sich mit persönlichkeitstypologischen Modellen. Ein Modell ist nicht die Persönlichkeit. Aber es kann uns helfen, die individuelle, einzigartige Persönlichkeit jedes Menschen besser zu verstehen. Dies gilt zunächst einmal für uns selbst ‒ wer kennt sich schon so gut, dass er nicht immer wieder Neues an sich entdecken könnte? ‒, und es gilt in Bezug auf jeden unserer Mitmenschen.
Die typologische Persönlichkeitsbeschreibung macht neugierig darauf, Stärken und Potenziale anderer Menschen kennenzulernen, und sie liefert Hinweise auf «typische» Grenzen dieser Personen, die wir beachten sollten, wenn wir eine positive, leistungsfähige und beständige Beziehung aufbauen wollen. Es soll aber nicht verschwiegen werden, dass jede Typologie auch missbraucht werden kann. «Wenn du dich so verhältst, dann bist du also so einer.» Schublade zu. ‒ Das ist in etwa so, als würde man vor lauter Begeisterung über die klaren Strukturen der Landkarte nur noch auf diese und nicht mehr auf die Landschaft schauen. Wie ärmlich.
Ethische Grundsätze im Umgang mit der Psycho-Physiognomik
Die beschriebenen ethischen Grundsätze verstehe ich auch als ethische Leitsätze, an welche sich die Psycho-Physiognomiker zu halten haben. Psycho- und patho-physiognomische Feststellungen dürfen nur von Personen erstellt werden, die dazu befähigt sind. Befähigung setzt voraus, dass theoretische Instrumentenkenntnisse und praktische Anwendungserfahrungen nicht nur einmal erworben, sondern beherrscht und laufend weiterentwickelt werden.
Psycho- und patho-physiognomische Profile dürfen nur dann erstellt werden, wenn die zu analysierende Person auch wirklich ihr Okay gegeben hat, also damit einverstanden ist. Psycho- und patho-physiognomische Analysen dürfen nicht an Dritten erstellt werden.
Eine persönlichkeitstypologische Feststellung stellt keine abgeschlossene Einschätzung dar. Vielmehr handelt es sich um eine strukturierte Beschreibung, die als Grundlage für die weitere Arbeit an der Persönlichkeit dienen kann (in Form von Selbstreflexion, Training oder Coaching).
Es gibt keine richtigen oder falschen, keine guten oder schlechten Profile, sondern allenfalls Profile mit hoher oder geringer Passung zwischen Person und Situation/Aufgabe/Funktion/Rolle.
Alle persönlichkeitstypologischen Eigenschaften sind an sich neutral. Erst der Kontext, in dem eine Person sich bewegt/lebt (Situation, Umwelt, Milieu), lässt die psychologischen Eigenschaften als günstig oder ungünstig erscheinen.
Persönlichkeitstypologische Auswertungen haben keinen Ewigkeitswert. Jeder Mensch kann sich weiterentwickeln und damit das Denk-, Fühl- und Verhaltensrepertoire, über das er verfügt, erweitern oder in anderer Weise verändern. Anders ausgedrückt: Nicht ist ewiges Sein, alles ist ein Werden.
Wichtig ist nicht zu urteilen, sondern Neutrales feststellen.
Die Psycho-Physiognomik dient in erster Linie der Selbsterkenntnis, dann erst folgt die Menschen(er)kenntnis (das Erkennen der anderen).
Die Anwendung bedingt eine Wertschätzung gegenüber allen Wesen (jedes Individuum ist einzigartig). Die sozialen, ethnischen und religiösen Hintergründe der Klienten und Patienten werden vorurteilslos respektiert und berücksichtigt. Die Psycho-Physiognomik ist weltanschaulich, religiös und politisch neutral. Es wird auf die Würde und das Recht auf Selbstbestimmung der Klienten und Patienten geachtet. Gegenüber Kindern, Jugendlichen und anderen nicht mündigen Personen besteht eine besondere Sorgfaltspflicht.
Die Psycho-Physiognomik soll nur dort angewendet werden, wo wir diese beherrschen und ihre Folgen abschätzen und verantworten können (nach bestem Wissen, Können und Gewissen).
Die gewissenhafte und sorgfältige Anwendung der Psycho-Physiognomik erfordert u.a. Selbsterkenntnis, d.h. das Überprüfen eigener Sichtweisen und Haltungen, sowie die Reflexion über eigene Lebensthemen und -muster.
Erstellte Analysen werden Dritten verschwiegen (Berufsgeheimnis), und es werden keine Versprechungen gemacht, sondern wir bleiben im vernünftigen Rahmen des eigenen Tätigkeitsgebietes.
Eine zu analysierende Person ist nie von der Konsultation eines Arztes ab- oder fernzuhalten. Es wird von keinem Klienten oder Patienten verlangt, eine aktuelle schulmedizinische Behandlung ohne Rücksprache mit dem Arzt abzubrechen bzw. eine schulmedizinische Behandlung nicht zu beginnen. Ärztliche Diagnosen werden berücksichtigt und in das Behandlungskonzept einbezogen.
Studierende und Klienten sind über die Möglichkeiten und Grenzen der Psycho-Physiognomik aufzuklären. Fragen von Klienten und Patienten werden beantwortet, und sie werden nicht zu einer Behandlung oder Beratung gedrängt.
Berater müssen sich der Abhängigkeit ihrer Patienten und der Gefahr des Missbrauchs, sowohl ihrer beruflichen Stellung als auch des Instrumentes Psycho-Physiognomik, bewusst sein. Sämtliche Formen von Beziehungen, die sich aus dem therapeutischen Abhängigkeitsverhältnis ergeben können, sind zu unterlassen.
Seminare und Fortbildungen in Psycho-Physiognomik distanzieren sich ganz klar von unseriösen Bereichen sowie von Angeboten, die sich nicht nach der Psycho-Physiognomik nach Carl Huter orientieren. Als Berater wendet man keine Methoden an, für die man nicht ausgebildet ist oder die man nicht nachweislich beherrscht. Das Gleiche gilt in der Rolle als Dozent zum Unterrichtsthema.
Der Berater informiert den Klienten über die Hauptgebiete der Psycho-Physiognomik und erklärt transparent, mit welchem Hauptgebiet er (aktuell) arbeitet. Wenn andere Methoden, Instrumente oder Wissensgebiete (ausser der Psycho-Physiognomik) mit einbezogen werden, wird der Klient oder Patient darüber informiert. Der Berater erklärt dann jeweils, welche Methode wann angewendet wird, sodass eine klare und verständliche Abgrenzung zur Psycho-Physiognomik nach Huter stattfindet.
Berater und Dozenten üben die Beratung und die Lernstoffvermittlung nach bestem Wissen und Gewissen aus. Das eigene Wissen und Können wird selbstkritisch hinterfragt und durch regelmässige Fort- und Weiterbildung ergänzt und vertieft.
Oberste Ziele einer psycho-physiognomischen Beratung sind das Wohlergehen und die Gesundheit des Klienten oder Patienten.
Die Anwendung der Psycho-Physiognomik zeichnet sich idealerweise durch folgende Merkmale aus:
- Anregen und Unterstützen von selbstverantwortlichem Handeln und Denken sowie zum Aufbau der Selbstheilungskraft.
- Individuelle Beratung jedes Menschen unter Berücksichtigung seiner Konstitution, Disposition, gegenwärtigen persönlichen und beruflichen Situation, seiner Wünsche und Ziele und seiner sozialen und kulturellen Umgebung.
- Förderung der gesunden Lebensweise auf körperlicher, seelischer und geistiger Ebene im Sinne einer Prävention.
Der Berater und Dozent unterliegt der Schweigepflicht und sorgt dafür, dass sämtliche Daten seiner Patienten vor dem Zugriff Unberechtigter geschützt sind. Es wird eine vollständige Patientendokumentation geführt und den Klieten und Patienten auf Wunsch Einsicht in diese Unterlagen gewährt. Dieses Einsichtsrecht besteht auch nach Abschluss der Beratung. Dritten wird nur mit ausdrücklicher Zustimmung des Klienten Einsicht in die Klientendokumentation gegeben. Falls der Berater durch gesetzliche Bestimmungen zu einer Auskunft verpflichtet ist, informert er den Klienten vorgängig darüber.
Unbedingt zu vermeiden sind Urteile, Vorurteile, Zeichendeuterei, Schubladisieren, Aufdrängen, Ratschläge, Überheblichsein, mit der Psycho-Physiognomik prahlen, negative Deutung, Betrachtung nur einzelner Organe/Ausdruckszonen unter Ausschluss des Ganzen, Analysen nur aufgrund eines Fotos, Vertrauensmissbrauch, Missbrauch der Schweigepflicht, Klassifizieren, Diagnostizieren etc.